Anträge, Rauswürfe und ein Pseudo-Reporter
Fulminanter Prozess-Auftakt im Fall Hermanni / Leipzigs Ex-OBM als Zeuge?
Leipzig.
Antrag, Stellungnahme, Ablehnung. Erneut Antrag, Stellungnahme und Ablehnung.
Der Auftakt gestern im Prozess gegen Matthias von Hermanni begann mit
einem formaljuristischen Pingpong, das die Anwälte offensichtlich
für mögliche Revisionen brauchen, jedoch die Besucherreihen
im gut gefüllten großen Saal im Leipziger Landgericht zusehends
lichtete.
Nach mehr als einem halben Dutzend Unterbrechungen kam die Staatsanwaltschaft
erst am späten Nachmittag zum Verlesen der Anklageschrift. Beginn
der Verhandlung war 8 Uhr. Im Verfahren gegen den früheren Chef
des Leipziger Betriebes für Beschäftigungsförderung (bfb)
geht es um einen Vermögensschaden von knapp 1,9 Millionen DM (eine
Million Euro). Mit auf der Anklagebank sitzt der Bauunternehmer Jürgen
Sobiak aus Hermannis Heimatstadt Hannover. Die beiden sollen in einer
Fülle von Fällen bei der Vermietung von Baumaschinen gemeinsame
Sache gemacht haben. Als Gegenleistung für überhöht gezahlte
Mietrechnungen soll Sobiak als Generalunternehmer beim Bau des Privathauses
Hermannis Leistungen in Höhe von einer halben Million DM nicht
in Rechnung gestellt haben, hieß es in der knapp 30-seitigen Anklageschrift.
Ferner müssen sich eine Abteilungsleiterin und zwei ehemalige Projektleiter
des städtischen Betriebes wegen Beihilfe zum Betrug und zur Untreue
verantworten.
An Brisanz fehlte es dem Prozess-Auftakt wahrlich nicht. So erschien
Leipzigs Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube zur Verhandlung,
um - wie er gegenüber unserer Zeitung sagte - seine Verbundenheit
mit Hermanni zu bekunden, den er für unschuldig hält. Dieser
habe sicher auch Fehler gemacht, aber Lehmann-Grube könne es sich
nicht vorstellen, dass sich Hermanni persönlich bereichert habe.
Das sei absurd.
Leipzigs ehemaliges Stadtoberhaupt durfte der Verhandlung nur kurz beiwohnen,
da die Verteidigung Sobiaks beantragte, ihn des Saales zu ver-weisen.
Begründung:Lehmann-Grube könnte eventuell noch als Zeuge gehört
werden.
Sichtlich irritiert zeigte sich auch der Vorsitzende Richter Karsten
Nickel, als gegen ihn Antrag wegen Befangenheit gestellt wurde. Der
kam aus dem Lager der Mitangeklagten. Nickel hatte in einem Antragsfall
nicht allen Verteidigern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Abgelehnt wurde auch ein Befangenheitsantrag gegen den ermittelnden
Staatsanwalt Gast. Hermanni wirft ihm Verletzung der gebotenen Objektivität
vor und hat vor kurzem Strafanzeige gegen ihn gestellt. Im selben Atemzug
kritisierte Hermannis Verteidiger Andreas Meschkat, dass bestimmte Medien
besser über den Ermittlungsstand von der Staatsanwaltschaft informiert
gewesen seien, als der Beschuldigte selbst. Hermanni habe sich daraufhin
als Herr Becker von Spiegel TV ausgegeben und sich mit dem Sprecher
der Staatsanwaltschaft mehrfach telefonisch ausführlichst unterhalten.
Dabei hätten die Aussagen zum Teil mit dem Ermittlungsstand eklatant
in Widerspruch gestanden.
Der Leitende Oberstaatsanwalt Günter Spitz bezeichnete die Aussagen
als diffus. Er könne weder der Strafanzeige noch den Vorwürfen
gegen den Sprecher der Staatsanwaltschaft folgen. Spitz, der der Verhandlung
streckenweise selbst beiwohnte, um wie es schien seinen Mitarbeitern
den Rücken zu stärken, geht nach eigenen Aussagen von einer
Verurteilung Hermannis aus. "Wir sind gut vorbereitet", sagte
er gegenüber unserer Zeitung.
Während ehemalige bfb-Mitarbeiter am Rande der Verhandlung davon
sprachen, dass Gründe gesucht würden, den Betrieb "platt
zu machen" und Hermanni "Opfer einer politischen Intrige"
sei, erteilte Spitz dem eine deutliche Absage. "Das ist völlig
abwegig und entbehrt jeglicher Grundlage."
Der Prozess soll voraussichtlich bis April nächsten Jahres dauern.
Derzeit sind 23 Verhandlungstage angesetzt.
Andreas Dunte