Leipziger Volkszeitung vom 05. Oktober 2001




Anträge, Rauswürfe und ein Pseudo-Reporter
Fulminanter Prozess-Auftakt im Fall Hermanni / Leipzigs Ex-OBM als Zeuge?

Leipzig. Antrag, Stellungnahme, Ablehnung. Erneut Antrag, Stellungnahme und Ablehnung. Der Auftakt gestern im Prozess gegen Matthias von Hermanni begann mit einem formaljuristischen Pingpong, das die Anwälte offensichtlich für mögliche Revisionen brauchen, jedoch die Besucherreihen im gut gefüllten großen Saal im Leipziger Landgericht zusehends lichtete.

Nach mehr als einem halben Dutzend Unterbrechungen kam die Staatsanwaltschaft erst am späten Nachmittag zum Verlesen der Anklageschrift. Beginn der Verhandlung war 8 Uhr. Im Verfahren gegen den früheren Chef des Leipziger Betriebes für Beschäftigungsförderung (bfb) geht es um einen Vermögensschaden von knapp 1,9 Millionen DM (eine Million Euro). Mit auf der Anklagebank sitzt der Bauunternehmer Jürgen Sobiak aus Hermannis Heimatstadt Hannover. Die beiden sollen in einer Fülle von Fällen bei der Vermietung von Baumaschinen gemeinsame Sache gemacht haben. Als Gegenleistung für überhöht gezahlte Mietrechnungen soll Sobiak als Generalunternehmer beim Bau des Privathauses Hermannis Leistungen in Höhe von einer halben Million DM nicht in Rechnung gestellt haben, hieß es in der knapp 30-seitigen Anklageschrift. Ferner müssen sich eine Abteilungsleiterin und zwei ehemalige Projektleiter des städtischen Betriebes wegen Beihilfe zum Betrug und zur Untreue verantworten.

An Brisanz fehlte es dem Prozess-Auftakt wahrlich nicht. So erschien Leipzigs Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube zur Verhandlung, um - wie er gegenüber unserer Zeitung sagte - seine Verbundenheit mit Hermanni zu bekunden, den er für unschuldig hält. Dieser habe sicher auch Fehler gemacht, aber Lehmann-Grube könne es sich nicht vorstellen, dass sich Hermanni persönlich bereichert habe. Das sei absurd.

Leipzigs ehemaliges Stadtoberhaupt durfte der Verhandlung nur kurz beiwohnen, da die Verteidigung Sobiaks beantragte, ihn des Saales zu ver-weisen. Begründung:Lehmann-Grube könnte eventuell noch als Zeuge gehört werden.

Sichtlich irritiert zeigte sich auch der Vorsitzende Richter Karsten Nickel, als gegen ihn Antrag wegen Befangenheit gestellt wurde. Der kam aus dem Lager der Mitangeklagten. Nickel hatte in einem Antragsfall nicht allen Verteidigern Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Abgelehnt wurde auch ein Befangenheitsantrag gegen den ermittelnden Staatsanwalt Gast. Hermanni wirft ihm Verletzung der gebotenen Objektivität vor und hat vor kurzem Strafanzeige gegen ihn gestellt. Im selben Atemzug kritisierte Hermannis Verteidiger Andreas Meschkat, dass bestimmte Medien besser über den Ermittlungsstand von der Staatsanwaltschaft informiert gewesen seien, als der Beschuldigte selbst. Hermanni habe sich daraufhin als Herr Becker von Spiegel TV ausgegeben und sich mit dem Sprecher der Staatsanwaltschaft mehrfach telefonisch ausführlichst unterhalten. Dabei hätten die Aussagen zum Teil mit dem Ermittlungsstand eklatant in Widerspruch gestanden.

Der Leitende Oberstaatsanwalt Günter Spitz bezeichnete die Aussagen als diffus. Er könne weder der Strafanzeige noch den Vorwürfen gegen den Sprecher der Staatsanwaltschaft folgen. Spitz, der der Verhandlung streckenweise selbst beiwohnte, um wie es schien seinen Mitarbeitern den Rücken zu stärken, geht nach eigenen Aussagen von einer Verurteilung Hermannis aus. "Wir sind gut vorbereitet", sagte er gegenüber unserer Zeitung.

Während ehemalige bfb-Mitarbeiter am Rande der Verhandlung davon sprachen, dass Gründe gesucht würden, den Betrieb "platt zu machen" und Hermanni "Opfer einer politischen Intrige" sei, erteilte Spitz dem eine deutliche Absage. "Das ist völlig abwegig und entbehrt jeglicher Grundlage."

Der Prozess soll voraussichtlich bis April nächsten Jahres dauern. Derzeit sind 23 Verhandlungstage angesetzt.

Andreas Dunte