Ein Prozess, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet Herr der Gummistiefel-Brigaden Matthias von Hermanni steht seit Monaten in Leipzig wegen Betrugsverdacht vor Gericht, doch es finden sich keine Geschädigten
Der Prozess hat das Zeug, in die sächsische Justizgeschichte einzugehen. Es geht vor dem Leipziger Landgericht um angeblichen Betrug in Höhe von 1,9 Millionen Mark. Doch bislang hat keiner der mehr als zwölf Zeugen bestätigt, dass dieser Schaden überhaupt entstanden ist: Im Gegenteil, von einem Riesengewinn für die Messestadt ist die Rede. Von den fünf Angeklagten war der prominenteste bis 1999 Chef des größten Betriebes, den die Ex-DDR nach der Wende hervorgebracht hat: Matthias von Hermanni, ein Star am deutschen Arbeitsbeschaffungsmarkt, von Fernsehteams und Journalisten umschwärmt, mit der Leipziger Rathausspitze auf Du und Du. Zeitweilig bis zu 8000 Arbeitslose brachte er über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) im städtischen "Betrieb für Beschäftigungsförderung" (BfB) in Lohn und Brot. Doch dann kam der jähe Fall, Hausdurchsuchungen, vier Wochen Untersuchungshaft. Der 47-jährige Beamte aus dem Westen ist nur gegen Kaution auf freiem Fuß - eine viertel Million Mark, die die ABMler aus seinem Betrieb für ihn gesammelt haben. Ihm und drei früheren Mitarbeitern werden Betrug und Untreue vorgeworfen, er soll zusammen mit seinem ebenfalls angeklagten einstigen Hannoveraner Geschäftsfreund Jürgen Sobiak beim Bau seines Eigenheimes gemauschelt, als Chef des BfB Geld an Sobiak für angemietete Baumaschinen gezahlt haben, obwohl die zu dem Zeitpunkt noch gar nicht in Leipzig waren. Im Gegenzug habe Sobiak Bauleistungen für 600000 Mark an Hermannis Eigenheim erbracht. An den bisher 13 Verhandlungstagen des Gerichts klang es anders. Der Chef eines städtischen Partnerunternehmens berichtete, die von Hermanni praktizierte Abrissmethode von alten DDR-Industriebauten habe Gewinn gebracht. Die strittigen Baumaschinen sind zwei Brecher, einer für Beton, einer für Ziegel, Riesengeräte, die zerlegt als Schwerlasttransport aus dem Hafen Rotterdam nach Leipzig gebracht wurden. Viele im BfB können sich erinnern, wie sie, im April 1994, mit viel Tamtam vier Tage lang zusammengebaut und in Betrieb genommen wurden. Statt große alte Abrissbrocken mit dem Lkw abzutransportieren und das Granulat teuer zurückzukaufen, wurde die Füllmasse für Wege und alte Tunnel gleich vor Ort produziert. Leipzig kam so günstig zu Gewerbegebieten, auf denen sich heute Hoffnungsträger für künftige Gewerbesteuern tummeln. Der Staatsanwalt gähnt Weil der BfB damals nicht über ein so großes Budget verfügte, um die teuren Brecher anzumieten, wurden die Mietraten auf mehrere Monate gestreckt, rückwirkend ab Januar 1994, als sie tatsächlich noch nicht in Leipzig waren. Diese Vorgehensweise wurde von städtischen Amtsleitern vor Gericht bestätigt. Doch die misstrauische Staatsanwaltschaft ließ einen Projektleiter als Zeugen vormachen, in welcher Haltung er den Brecher von seinem Baucontainer aus habe sehen können. "Denen vom LKA wäre es doch am liebsten gewesen, ich hätte ausgesagt, dass der Brecher zeitweilig draußen bei Hermannis Eigenheimbau stand", platzte es aus dem Mann heraus, eine Äußerung, die zu Protokoll ging, weil sie als Zeugenbeeinflussung gewertet werden kann. Richter Karsten Nickel trieb es die Röte ins Gesicht. Hermanni ist kein demütiger Angeklagter. Mit hochgekrempelten Hemdsärmeln nimmt er Zeugen selbst ins Verhör. Den jungen Staatsanwalt hat er schon mit zwei Strafanzeigen überzogen, weil er Entlastendes nicht zur Kenntnis nehme. Tatsächlich schaut der Staatsanwalt, wenn Hermanni Gegenargumente präsentiert, schon mal demonstrativ aus dem Fenster oder gähnt. Von den einstigen Bewunderern im Rathaus hält heute einzig noch Ex- Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) zu Hermanni, der ebenfalls aus Hannover stammt. Geradezu vergöttert wird Hermanni von den einstigen ABMlern: der allein stehenden Mutter von drei Kindern mit Förderschulabschluss, die in seiner Putzkolonne neuen Lebensmut schöpfte, oder dem über 50-jährigen Bauarbeiter, der nach fehlgeschlagenen Treuhand-Verkäufen aus einem DDR- Baukombinat ausgespuckt wurde, Leuten, die bei der Wende unter die Räder kamen. Nach einem Jahr in den Gummistiefel-Brigaden des BfB hatten sie wieder Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, das Problem wurde so vom Leipziger Stadtsäckel zurück an den Bund delegiert. Der sah das gar nicht gern, doch war das schon ein Grund dafür, den Chef des BfB zu kriminalisieren, wie Hermanni meint? Tatsache ist, dass der BfB inzwischen drastisch heruntergefahren wurde auf jährlich noch etwa 2500 Beschäftigte. Da durch die staatlich geförderte ABM auch etliche Handwerksbetriebe ihre Aufträge schwinden sahen, machte sich Hermanni mächtige Feinde in den Handwerkskammern. Er nutzte selbst kleinste Gesetzeslücken, um die Fördermöglichkeiten auszudehnen. Dass so jemand auch Neben-Wege findet, um sein Haus zu finanzieren, erscheint nicht abwegig, doch die Steuerfahndung hat nichts herausgefunden. Mehr als 60 von der Staatsanwaltschaft befragte Handwerksfirmen in ganz Deutschland, die an seinem Privathaus bauten, haben dort nie eine ABM-Kraft arbeiten sehen. Die 1,1 Millionen Mark teure Immobilie finanzierte er mit einen Zuschuss der Schwiegereltern, mit einem Immobilienverkauf und Krediten. Zuhörer dürfen nicht mitschreiben Seine Kontoauszüge bot er dem LKA freiwillig an, sie wurden aber nicht genommen, stattdessen kurz darauf in großer Aktion beschlagnahmt. Ein Ordner, der seine bezahlten Baurechnungen enthält, wurde ebenfalls beschlagnahmt, löste sich dann aber bei der Staatsanwaltschaft in Luft auf. Das Belastungsmaterial sind ausschließlich Kopien, erstellt von Jürgen Sobiak, jenem kleinen untersetzten Bauunternehmer, hinter dem die Steuerfahndung Hannover schon seit 1993 her war, und der gut eine eine Million Mark Steuern nachzahlen musste. "Der Sobiak hatte doch einfach nur ein Steuerproblem", behauptet Hermanni über seinen heutigen Intimfeind, der habe unbezahlte Baurechnungen für sein (Hermannis) Haus fingiert, um den Betrag als Verlustabzug steuerlich abschreiben zu können. Viel von diesem Wirrwarr kann man auf der, von Hermannis Tochter Katharina eingerichteten Internetseite www. vonhermanni.de nachlesen. Nicht mehr allerdings die Zeugenaussage des LKA- Ermittlungsführers, der zugab, den Haftbefehl gegen Hermanni einem Zeugen noch vor Anklageerhebung vorgelegt zu haben, was gegen die Strafprozessordnung verstößt, weil es den Zeugen beeinflusst. Das Gericht hat aber kürzlich die Veröffentlichung dieser Protokolle im Internet verboten - wegen Zeugenbeeinflussung. Weil im Strafprozess Zeugenvernehmungen nicht protokolliert werden, schreiben bislang einige Zuhörer für die Verteidigung mit. Nun mussten sie ihre Namen und Anschriften nennen, nur noch auf Antrag dürfen sie mitschreiben. Auch Journalisten mussten ihre Namen nennen. Nach allem, was bisher in diesem Prozess geschah, wirkte das wie ein Einschüchterungsversuch des Gerichts. "Dieser Prozess muss nun endlich mal losgehen", so der Leipziger Oberstaatsanwalt Norbert Röger. Man darf gespannt sein, was noch alles kommen wird.
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