Wie Phönix aus der Asche
Matthias von Hermanni war der Star am zweiten Arbeitsmarkt in Leipzig
seit Monaten steht er wegen Verdachts auf Betrug und Untreue
vor Gericht möglicherweise zu Unrecht, jedenfalls sieht
er sich nun als Opfer der Justiz.
Von Thomas Schade
Im Saal 236 des Leipziger Landgerichts führt an diesem Vormittag
vor allem einer das Wort: der Hauptangeklagte Matthias von Hermanni,
einst Herr des größten ABM-Unternehmens der Republik. Von
den sozial Schwachen gerühmter und von Handwerkern geschmähter
Star auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Unterm Sachsen-Wappen fragt der Vorsitzende
Richter Karsten Nickel fast ehrfürchtig, ob der gebürtige
Hildesheimer zu einem der Anklagepunkte etwas erklären möchte.
Erklären kann ich viel, poltert von Hermanni los, aber
wollen Sie das auch hören?
Staatsanwältin Sabine Fleiner versucht, in dem brisanten Wirtschaftskrimi
für die Anklage zu retten, was zu retten ist. Ihr Kollege Thomas
Gast, ein junger ehrgeiziger Staatsanwalt, hat von Hermanni, suspendierter
Chef des städtischen Betriebes für Beschäftigungsförderung
(BfB), verbissen gejagt und schließlich wegen Betrug, Untreue
und Bestechlichkeit in insgesamt 74 Fällen vor Gericht gebracht.
Der 48-Jährige habe dabei mit einem alten Kumpel gekungelt. Der
heißt Jürgen Sobiak und sitzt auf der Anklagebank in der
zweiten Reihe. Von Hermanni habe für die BfB von Sobiak Baumaschinen
zu überhöhten Preisen gemietet. Die Gewinne sollen beide geteilt
haben. Außerdem hätten Sobiaks Baufirmen am Privathaus von
Hermannis gearbeitet, ohne die Leistungen für rund 250 000 Euro
zu berechnen. Um eine knappe Million Euro sei die Stadt insgesamt betrogen
worden, glaubt die Staatsanwaltschaft.
Sozialhilfeempfänger in grünen Latzhosen
Die Verhaftung des Leitenden Verwaltungsdirektors von Hermanni im November
1999 sorgte für Aufsehen. Der Kommunalbeamte mit CDU-Parteibuch
saß als Experte in hochkarätigen Gremien wie der Bonner Kommission
Arbeit für alle und suchte mit nach beschäftigungspolitischen
Lösungen. Seine angeblichen Übeltaten fallen in jene Zeit
Mitte der 90er Jahre, als in Leipzig einer dieser Lösungsversuche
seinen Siegeszug nahm. So ratterten 1996 auf der ehemaligen GUS-Kaserne
in Leipzig-Schönau heftig die Presslufthämmer. Eine große
Brecheranlage knackte Ziegelsteine und Beton. Menschen, die sonst von
der Sozialhilfe lebten, waren hier am Werk, beschäftigt bei der
BfB. Im Gewerbegebiet Leipzig Nordost, seinerzeit eines der größten
in Sachsen, passierte das Gleiche. Mehrere Hundert Menschen hatte der
städtische Eigenbetrieb BfB zeitweise auf solchen Abrissbaustellen
beschäftigt. Baumaschinen wurden dafür erst gemietet, später
gekauft.
Fast gleichzeitig wuchsen im Dorf Hohenroda, rund 20 Kilometer außerhalb
der Messestadt, gleich neben dem Friedhof ein kleines Landhotel und
der neue Wohnsitz der von Hermannis. Die Familie zog nach Sachsen. Denn,
was sich in Leipzig auf dem Arbeitsmarkt tat, stellte alles in den Schatten,
was von Hermanni vorher als Chef eines ABM-Stützpunktes in Hannover
erlebt hatte. 1998 standen bei ihm rund 8 500 Mitarbeiter in Lohn und
Brot. Seine Hundertschaften in den grüne Latzhosen, zumeist langzeitarbeitslose
Leipziger, erledigten nur öffentliche Arbeiten, wie er sagt. Wir
hatten fast alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger der Stadt
in Arbeit. Von Hermanni avancierte zum größten
Arbeitgeber Sachsens, wie er unbescheiden feststellt. Unser
Modell wollte mit all denen öffentliche Arbeit erledigen, die aus
eigener Kraft keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.
Dass Bundeskanzler Kohl dieses Leipziger Modell 1997 im Bundestag hervorhob,
sei ein politisches Signal gewesen, glaubt von Hermanni.
Auch für die, denen gar nicht passte, was er trieb. Unter denen
vermutet er auch einflussreiche Kräfte im sächsischen Wirtschaftsministerium.
Dort hätten die Handwerker und Mittelständler geklagt, denen
er angeblich mit seinen so genannten Gummistiefelbrigaden die Aufträge
wegnahm. Wollten politisch einflussreiche Verfechter eines freien Arbeitsmarktes
den Chef des sozialpolitisch orientierten kommunalen Großbetriebes
zerstören? Dass sich böse Mächte gegen ihn verschworen
haben, das wird von Hermanni wohl nie beweisen können.
Konspirative Hinweise und Hausdurchsuchungen
Belegt ist jedoch, dass das staatliche Rechnungsprüfungsamt Wurzen
schon Anfang 1997 in ungewöhnlich konspirativer Weise anonymen
Hinweisen auf BfB-Mauscheleien nachging und sogar verdeckte Nachforschungen
in der städtischen Firma anstellte. Hoch gestellte Persönlichkeiten
seien hinter ihm her, habe ihm zudem ein Mitarbeiter des Rechungshofes
gesteckt, sagt von Hermanni. Ausgerechnet aus der Ecke seines Geschäftspartners
Jürgen Sobiak, dem die Steuerfahndung Hannover auf den Fersen war,
kam Mitte 1998 eine Strafanzeige und später ein Ordner mit den
belastenden Unterlagen, an denen sich die Ermittler festbissen. Nach
Durchsuchungen, bei denen die Beamten Lkw-Ladungen an Akten beschlagnahmten,
und einem vermeintlichen Geständnis von Ex-Kompagnon Jürgen
Sobiak schneiderte Staatsanwalt Gast schließlich seine fast 80-seitige
Anklage. Von Hermannis Unschuldsbeteuerungen blieben ebenso unbeachtet
wie offensichtliche Ungereimtheit eines Schreibens, das mit Hallo
Jürgen ... beginnt und als Beweis für die kriminellen
Abmachungen zwischen beiden Angeklagten gilt.
Offenbar zusammenkopiert, urteilt vergangene Woche ein Ermittlungsrichter
etwas kleinlaut über das Dokument. Er steht als Zeuge in dem Fall
vor Gericht. Eine Fälschung, poltert der Angeklagte
von Hermanni los und bietet eine Lupe an: Wollen Sie sich überzeugen?
Richter Nickel schlichtet etwas wirsch. Mit dem seltsamen Beweis hatte
er von Hermanni vor zweieinhalb Jahren für 22 Tage in die Untersuchungshaft
gesteckt. Danach kam der prominente Beschuldigte gegen eine Kaution
von 250 000 Mark frei. Das Geld sammelten Mitarbeiter. Mit 2 000 Mark
erklärte sich selbst Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube
solidarisch mit dem damals dringend Verdächtigen.
Seit Mitte März haben alle ihr Geld zurück. Richter Nickel
hob den Haftbefehl endgültig auf. Die Beweisaufnahme hatte die
Wirtschaftsstrafkammer zur vorläufigen Überzeugung
gebracht, dass es für Untreue und Betrug keinen dringenden Tatverdacht
mehr gibt. Das Gericht kann weder Täuschung noch Schaden für
die Kommune erkennen. Ankläger Gast verließ das Gericht voller
Empörung, der Angeklagte mit Blumen seiner Mitarbeiter. Staatsanwalt
Gast quittierte den derben Rückschlag postwendend und erklärte
die ganze Kammer für befangen. Ohne Erfolg. Seither inszeniert
sich von Hermanni noch siegessicherer als Justizopfer. Inzwischen werden
gar die Jäger vor Gericht zu Gejagten. So findet sich der LKA-Ermittler
Jens H. in seiner fünften Zeugenvernehmung im Kreuzverhör
des Angeklagten wieder. Im LKA schüttelt man inzwischen mit dem
Kopf, wie das Gericht es zulässt, dass von Hermanni den Ermittler
regelrecht auseinander nehmen darf. So etwas hat es
noch nicht gegeben, sagt ein Spitzenbeamter. Der Fall soll intern
ausgewertet werden, um die Kollegen für solche Fälle zu wappnen.
Ein wackliges Geständnis könnte kippen
Für Norbert Röger, den Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft,
ist der Fall noch längst nicht verloren. Blanker Unfug
seien von Hermannis Strafanzeigen gegen Staatsanwalt Gast. Absoluter
Quatsch sei seine Verschwörungstheorie. Der suspendierte
BfB-Chef sieht sich unschuldig verfolgt und wirft dem Ankläger
Straftaten im Amt vor. Auf seiner Internetseite (www.vonhermanni.de)
zeigt er sich auch optisch im Fadenkreuz der Justiz und der Politik.
Bis Jahresende, so glaubt Röger, werde die Beweisaufnahme noch
dauern. Doch mittlerweile bröckelt auch der letzte Vorwurf: Bestechlichkeit.
Denn überraschend offenbarte der Mitangeklagte Sobiak: Nur unter
dem Eindruck seiner Odyssee durch ostdeutsche Gefängnisse habe
er 1999 gesagt, was der Staatsanwalt hören wollte, um schnell frei
zu kommen. Sobiak-Verteidiger Helmut Hartung vermerkte damals: Fordernd,
wie ein kleiner Napoleon, sei Thomas Gast aufgetreten. Und
der Ermittlungsrichter bestätigt, dass die Umstände für
Sobiaks Entlassung wirklich außergewöhnlich gewesen
seien. Nur Staatsanwalt Gast schildert als Zeuge alles etwas anders.
Doch er könnte Pech haben:Kein Ermittlungsrichter hat Sobiaks Geständnis
je gehört. Widerruft er es, hat es kaum Bestand. Das könnte
das Zünglein an der Waage sein. Vielleicht recherchieren die Ermittler
deshalb heftig weiter gegen von Hermanni. Von Hermanni höhnt inzwischen:
Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Schon zu
Beginn des Prozesses hatte er angekündigt, er werde wie Phönix
aus der Asche aufsteigen und vor Gericht die besiegen, die ihn
vernichten wollen. Fast vernichtet sind inzwischen seine grünen
BfB-Regimenter. Noch etwa 1 300 Mitarbeiter habe die städtische
Firma, sagt einer der Geschäftsführer. Dennoch gebe die Stadt
gleich viel aus für Beschäftigungsförderung. Nur verteilt
würden die Millionen nun anders.