Leipziger Volkszeitung vom 04. Februar 2005

Das Phänomen Hermanni - erst gelobt, dann geschmäht

Vom jahrelangen Aufstieg zum tiefen Fall. Die Geschichte beginnt im Jahr 1991: Matthias von Hermanni, Beamter mit CDU-Parteibuch aus Hannover, soll in Leipzig einen Stützpunkt für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) aufbauen. Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube (SPD) holt den damals 37-Jährigen in den Osten. Hermanni betrachtet es als großes Konfliktpotenzial, dass immer mehr Menschen die Arbeit verlieren. Diesen Leuten offeriert er Chancen in ABM. Zudem schafft er Betätigungsmöglichkeiten für Sozialhilfe-Empfänger. Seine Position: Es sei nicht einzusehen, dass die ihr Geld fürs Nichtstun bekommen, während in der Stadt so viel gemeinnützige Arbeit zu erledigen ist. Er schlägt vor, die öffentliche Hand solle Arbeitslosen- und Sozialhilfe in einen Topf werfen. Abgewandelt ist das heute Bestandteil von Hartz IV.

Schnell wird aus dem Stützpunkt ein kommunaler Betrieb. Das Gummistiefel-Unternehmen ist stadtweit aktiv, wird bester Kunde der Fördermittel-Bewilliger im Arbeitsamt - weil Hermanni immer neue Ideen hat, wo man Menschen beschäftigen kann. Da werden Teiche entschlammt, Grünanlagen gestaltet, Schulflure gemalert und Güter saniert. Auf dem Höhepunkt im Oktober 1998 zählt der Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) 8300 Mitarbeiter.

Wenn Kritiker seine Kreise stören, reagiert Hermanni oft ironisch. Seine Strahlemann-Position als Star der Beschäftigungspolitik, dessen Ideenreichtum bundesweit in den Medien gelobt wird, lässt er ungern in Frage stellen. Intern gibt es dennoch erste Problemanzeigen. Ein Großbetrieb, der nicht als solcher organisiert und geführt wird - so beurteilt 1997 die städtische Beratungsgesellschaft für Beteiligungsverwaltung (BBVL) den bfb. Sie weist auf mangelhafte Transparenz bei Abrechnungen hin und stellt fest, es bestehe ein Haftungsrisiko. Solche Hinweise habe Hermanni dann meist "heruntergespielt oder sich darüber hinweggesetzt", befindet 2002 ein Stadtratsausschuss. "Dabei legte er ein hohes Maß an Arroganz gegen Kritiker an den Tag ... Auseinandersetzungen wurde mit dem Argument aus dem Wege gegangen, dass es um Menschen geht und nicht um Zahlen ... Mit rhetorischem Geschick und Argumentationskraft ist es ihm immer wieder gelungen, die Meinungshoheit zu erlangen."

Im November 1999 wird Hermanni beurlaubt, weil gegen ihn wegen des Verdachts der Untreue und des Betruges Ermittlungen laufen. Bald darauf stürzt das gesamte System zusammen, das sich um ihn rankte. Exemplarisch: die Debatte um die "Kostenträgerrechnung". Der bfb-Chef hatte sich immer dagegen verwahrt, dass für jedes Produkt ausgerechnet wurde, welche Personal- und Sachkosten dort hinein geflossen waren. Mit den Fördermitteln vom Arbeitsamt sollten Menschen beschäftigt werden. Wie viel Geld da für die Sanierung des einzelnen Spielgeräts aufgewendet wurde, war ihm egal. Als Hermanni noch im Amt war, hat er dies auch den Wirtschaftsprüfern nachvollziehbar begründet, so dass die bis 1998 die Jahresabschlüsse des bfb bestätigten. Als der Abschluss für 1999 zur Debatte steht, ist er beurlaubt - und die Prüfer versagen ihr Testat.

Die Stadträte, die den Niedergang des bfb später zu untersuchen haben, stellen die These auf, dass auch vorher nicht ordentlich geprüft worden sei. Doch vermutlich existierte immer ein Spielraum, der pro oder contra Hermanni ausgenutzt werden konnte. Und nach seinem Ausscheiden dreht sich eben der Wind. Auch in der Verwaltungsspitze ändert sich dort die Grundhaltung zu dem Unternehmen, werden Zuschüsse für den bfb plötzlich kritisch hinterfragt. Die "Meinungshoheit" hat sich geändert.

22 000 Menschen haben über die Jahre hinweg im bfb gearbeitet. Viele, die Hermanni als Chef hatten, würdigen ihn als engagiert, unbürokratisch und ideenreich. Mit ihm an der Spitze habe der bfb funktioniert. Bei Kritikern bleibt das Bild vom selbstherrlichen Gutsbesitzer haften.

Hermannis Nachfolger Hartmut Siemon und Christian Aegerter finden sich in dem übernommenen System nur schwer zurecht. Zugleich verändern sich Förderbedingungen des Arbeitsamts und politische Vorgaben aus dem Rathaus. So beginnt die Demontage des bfb. Im April 2003 wird er endgültig aufgelöst. Hermanni, angesichts des nicht rechtskräftigen Urteils in seinem Strafverfahren über Jahre hinweg bei 70 Prozent seiner Bezüge beurlaubt, sitzt daheim und schüttelt den Kopf.

Thomas Müller