"Die
Strafkammer hat nicht besonders gut gerechnet"
Die
Szene bewegt: Nach der Urteilsverkündung fällt Matthias von
Hermanni eine ehemalige Mitarbeiterin des von ihm einst geleiteten Betriebs
für Beschäftigungsförderung (bfb) in die Arme und schluchzt
vor Erleichterung. Dem gewichtige Mann, sonst eher polternd und aufbrausend,
stehen ebenfalls die Tränen im Gesicht. "Ich freue mich, bin
überwältigt", sagt er mit zitternder Stimme in ein Rundfunk-Mikrofon.
Bevor er den Gerichtssaal verlässt, unterdrückt er jedoch
die Emotionen und kündigt an, in Kürze "Näheres
zu seinem Fall" sagen zu wollen. "Das dürfte alle die
interessieren, die mich dorthin gebracht haben, wo ich heute bin."
(Lesen Sie dazu auch den Beitrag "Drei Fragen".)
Zuvor hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil gegen den früheren
bfb-Chef aufgehoben. Der 5. Strafsenat sprach Hermanni in vier Fällen
vom Vorwurf der Untreue frei und verwies zwei weitere Fälle zur
Überprüfung zurück an das Landgericht Chemnitz. Der Vorsitzende
Richter Clemens Basdorf empfahl, angesichts der gravierenden Reduzierung
des Schuldvorwurfs das Verfahren einzustellen.
Das Landgericht Leipzig habe Verträge über die Anmietung und
den anschließenden Kauf von Baumaschinen falsch bewertet, so Basdorf
zur Urteilsbegründung. Zwischen dem bfb und dem beteiligten Bauunternehmer
aus Hannover sei verabredet gewesen, die Mietzahlungen für die
Maschinen auf den späteren Kaufpreis anzurechnen. Die Wirtschaftsstrafkammer
hätte deshalb nur die Gesamtsumme und nicht die überhöhten
einzelnen Monatsmieten für die Baumaschinen zur Schadensermittlung
heranziehen dürfen.
Nur mühsam konnte Basdorf seine Verwunderung über das vom
Landgericht Leipzig gefällte Urteil aus dem Jahr 2002 unterdrücken.
"Hier wurde falsch bewertet" oder "Das Urteil schweigt
sich aus" waren noch humane Bemerkungen gegen diesen Satz: "Die
Strafkammer hat nicht besonders gut gerechnet." Die Senatsrichter
hatten offenbar selbst den Taschenrechner zur Hand genommen. Im Fall
einer Siebanlage, die Hermanni von dem Hannoveraner Unternehmer für
den damaligen ABM-Stützpunkt (später bfb) gemietet hatte,
war die Strafkammer von einer Schadenssumme in Höhe von 20.000
DM ausgegangen. "Nach unserer Rechnung wurde die Anlage um 50.000
DM billiger erworben", so Basdorf.
In einem weiteren Fall ging es ebenfalls um eine laut Landgericht überteuert
erworbene Baumaschine. Der BGH fand es "recht originell",
dass fünf Jahre nach Erwerb ein Sachverständiger beauftragt
wurde, Vergleichsangebote zu ermitteln. Eines davon, so der BGH-Richter,
lag deutlich über dem Kaufpreis, vier waren billiger. Das Gericht
zog das drittbilligste Angebot zu Rate und verwarf den Rest, womit es
eindeutig gegen den Rechtsgrundsatz "In dubio pro reo" (Im
Zweifel für den Angeklagten") verstoßen habe.
"In den übrigen zwei Fällen möglicherweise überteuert
erworbener Maschinen wurde der Vorsatz des Angeklagten unzulänglich
begründet", stellte der Senat weiter fest. Aber auch hier
registrierten die Richter nach Bemühen des Taschenrechners einen
um ein Drittel verminderten Schaden, als ihn das Leipziger Landgerichtsurteil
ausweist. Chemnitz werde darüber neu befinden.
Noch nie habe er von einer derartigen Schelte gegen Gericht und Staatsanwalt
gehört, meinte Hermannis Anwalt Andreas Meschkat. Der BGH erließ
zudem eine Verfahrensrüge gegen den damaligen Staatsanwalt Thomas
Gast. Seine Zeugenaussage vor dem Landgericht und deren anschließende
Bewertung im eigenen Plädoyer seien ein klarer Verstoß gegen
die Prozessordnung.
Auf einen Punkt habe das aber keine Auswirkung, so Richter Basdorf:
Die Nutzung eines Dienst-Lkw für den privaten Transport von Steinen.
Hermanni habe die Stadt damit um rund 60 Euro geschädigt. Dieses
Urteil des Landgerichts Leipzig bleibe bestehen, sagte Basdorf. Er empfahl
aber dennoch eine neue Bewertung durch die Chemnitzer Richter.
Hermanni war im Dezember 2002 wegen Untreue in sieben Fällen zu
einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren auf Bewährung und einer
Geldstrafe von 40.000 Euro verurteilt worden. Das Verfahren war eines
der längsten im Freistaat und zog sich über rund 14 Monate
hin.
Andreas Dunte