Neue Impulse für Arbeitsmarkt
Leipzig braucht dringend neue Beschäftigungsimpulse. Einer der
wenigen, denen so ein Kraftakt derzeit zugetraut wird, ist der ehemalige
bfb-Chef Matthias von Hermanni. Er ist inzwischen rehabilitiert, und
Dokumente belegen, dass er durch die Beschäftigung von Arbeitslosen
Millionenwerte für die Stadt erwirtschaftet hat. Doch im Rat rennt er
gegen Windmühlenflügel an.
Matthias von Hermanni polarisiert die Leipziger derzeit wie kaum ein
anderer: Nachdem bekannt wurde, dass er für den Posten des
Sozial-Beigeordneten kandidiert, wird über einen Neuanfang in der
Arbeitsmarktpolitik diskutiert. „Es ist besser, Langzeitsarbeitslose zu
beschäftigen, als sie fürs Nichtstun zu bezahlen“, lautet sein Credo.
Schaffen will er das mit einer Stiftung für kommunale Beschäftigung.
Seine Idee: Mit der Übereignung öffentlicher Gebäude und Anlagen an die
Stiftung könnten Langzeitarbeitslose mit der Sanierung und
Instandhaltung des Stiftungseigentums beauftragt werden – und die
Kommune kann damit eine finanzielle Entlastung erreichen.
Dass es möglich ist, mit Hilfe von Langzeitarbeitslosen die Stadtkasse
zu entlasten und Werte zu schaffen, hat von Hermanni bereits mit dem
ehemaligen Leipziger Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) bewiesen.
Interne Untersuchungen belegen, dass der bfb in den Jahren 1995 bis 1997
das Vermögen der Stadt beträchtlich vermehrt hat. Durch eine ausgefeilte
Kombination von Arbeitsamtsmitteln und Sachkostenzuschüssen der Stadt
haben die damals 3000 Arbeitslosen des bfb 1995 eine Netto-Wertschöpfung
von 39,2 Millionen D-Mark (rund 20 Millionen Euro) erzielt, im Jahr 1996
von 52,5 Millionen Mark (rund 26 Millionen Euro). In den Jahren bis 1999
wuchs der Betrieb auf über 8000 Beschäftigte an, und die Ermittlung
dieser Daten wurde in dieser Zeit vom damaligen Oberbürgermeister
Hinrich Lehmann Grube (SPD) veranlasst. Er ließ die Zahlen jedoch nie
veröffentlichen. Der Stadt sollte man nicht vorwerfen, sich an der
Arbeitsmarktpolitik bereichert zu haben. Die Mitglieder des im Jahr 2002
tagenden Aktenuntersuchungsausschusses wollten die Unterlagen erst gar
nicht zur Kenntnis nehmen.
Die Wertschöpfung wurde nicht nur mit der Pflege von Grünanlagen und
öffentlichen Gebäuden, sondern auch mit der Sanierung von Stadtgütern
und über 100 Wohnungen erzielt. Darüber hinaus hatte der bfb ein
Anlagevermögen erwirtschaftet, dessen Wert intern mit rund 60 Millionen
Mark (rund 30 Millionen Euro) beziffert wurde. Diese Betriebsmittel
sollten als Grundstock für die weitere Beschäftigung von Leipziger
Langzeitarbeitslosen dienen, doch geblieben ist davon nichts. „Das
gesamte Anlagevermögen ist verschleudert worden“, heißt es in einer
Strafanzeige vom 18. Oktober 2005, die ehemalige Mitarbeiter des bfb
gestellt haben.
Die Stadt zögert, den früheren bfb-Chef erneut zum ersten Mann bei der
Beschäftigungsförderung zu machen. Die Begründung: Der burschikose
Landmann habe zwar als Chef des bfb schon über 8000 Arbeitslose in Lohn
und Brot gebracht, doch die Bilanz dieser Aktion sei verheerend gewesen.
Gemeint sind damit vor allem die horrenden Abwicklungskosten des bfb,
die das Rathaus mit rund 40 Millionen Euro beziffert – die sind
allerdings ausschließlich nach von Hermannis Abgang aufgelaufen. Auf
Nachfrage verweist er auf seinen Beamtenstatus und hält sich an den noch
von Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) erlassenen Maulkorb.
Die ehemaligen Leitungsmitarbeiter werden mit ihren Strafanzeigen um so
deutlicher. Die Verluste seien erst nach 1999 durch „Dilettantismus,
Untreue und Betrug“ entstanden, heißt es darin. Vor allem sei im Jahr
2002 eine Umbuchung in Höhe von 19 Millionen Mark (rund 10 Millionen
Euro) ins Wirtschaftsjahr 1999 vorgenommen worden. Dies wäre
„Bilanzfälschung“ und wird gegenwärtig von der Staatsanwaltschaft
untersucht. Die Anzeigenerstatter haben gleich ein Dutzend Zeugen
angeboten, natürlich auch von Hermanni. Doch der schweigt und erklärt
nur: „Bei aller Solidarität zu den ehemaligen Kollegen, die
Strafanzeigen geben keinem Arbeitslosen auch nur ein Stück Brot.“
Der Kapitalstock des bfb – der vor allem aus den Immobilien,
Werkstätten, Maschinen und Fahrzeugen bestand – ist mittlerweile
vernichtet. „Rund 60 Millionen Mark sind vernichtet worden“, klagen die
Mitarbeiter. Vereine, Firmen und Privatpersonen hätten sich an dem
Vermögen schadlos gehalten, heißt es. So sollen die Stadtgüter Mölkau
und Grassdorf im Wert von über zehn Millionen Euro für weniger als eine
Million „verscherbelt“ worden sein.
Von Hermanni, sich selber als „Gesinnungstäter“ bezeichnend, weiß um die
Situation in der Stadt und in den Fraktionen und will endlich eine
sachgerechte öffentliche Diskussion der Misere in der Leipziger
Arbeitsmarktpolitik. Vor allem deshalb kandidiert er als
Sozialdezernent, heißt es. Wie immer provoziert er auch dabei und hat
gleich in seine Bewerbung hineingeschrieben: Wer seinen Zielen nicht
zustimme, mö- ge ihn bitte auch nicht wählen. „Öffentliche Arbeit“, so
betont von Hermanni gebetsmühlenhaft, „ist unbegrenzt vorhanden.“
Mit diesen Äußerungen stößt er allerdings auf den Widerstand der
Wirtschaft. „Niemand will ein erneutes wirtschaftliches Desaster
erleben, wie es dieser Betrieb für Beschäftigungsförderung angerichtet
hat“, warnt zum Beispiel Wolfgang Topf, Präsident der Industrie und
Handelskammer zu Leipzig. Handwerkskammerchef Joachim Dirschka geht
sogar noch einen Schritt weiter: Hermannis Modell bewege sich auf einem
Niveau vergleichbar dem des utopischen Sozialismus, „ohne die Frage zu
stellen, woher die Mittel der Beschäftigungsförderung kommen, die
aufgewendet werden müssen. Der gesellschaftliche Grundtenor der Senkung
von Sozialabgaben wird durch diesen Ansatz konterkariert.“
Von Hermanni lässt dies nicht gelten. „Es ist illusorisch, darauf zu
hoffen, dass die Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit deutlich reduziert
werden kann“, warnt er und folgert: „Die Großstädte müssen sich auf die
Kommunalisierung der Langzeitarbeitslosen vorbereiten.“ Im Klartext:
Leipzig verschläft gerade seine letzte Chance, mit Mitteln des Bundes
eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Die Kosten für sein
Stiftungsmodell seien minimal und gemessen am Nutzen völlig vertretbar.
Die Arbeitsmarktpolitik müsse endlich auf die Schaffung von Mehrwert und
nicht mehr auf die Verwaltung des Mangels ausgerichtet werden. „Die
private Wirtschaft muss sich darauf einstellen, dass nichts mehr so
bleiben wird wie es ist“, sagt er. Denn die Sozialausgaben steigen
weiter, und die seien nunmal vorrangig zu bedienen. „Viele Kommunen
werden bald deutlich weniger oder gar keine Aufträge mehr vergeben
können“, meint von Hermanni. So gesehen werde sein Modell sogar mehr
Arbeit für die örtlichen Handwerksfirmen generieren – weil reine
Facharbeiten weiter an die örtlichen Handwerksfirmen gehen würden. „Ohne
diese Aufträge haben diese Firmen bald noch weniger zu tun“, prophezeit
er.