Eine kriminelle Vereinigung in der sächsischen Justiz?
Die Korruptionsaffäre im ostdeutschen Freistaat weitet sich aus - Ein
einst Verfolgter sieht seinen Fall jetzt in neuem Licht
Die Korruptionsaffäre in Sachsen weitet sich aus. Jetzt liegen dem
sächsischen Generalstaatsanwalt erste Geheimdossiers des
Verfassungsschutzes vor, in denen hohe Politiker, Richter und
Polizeibeamte belastet werden.
Von Harald Lachmann, Leipzig
Matthias von Hermanni hatte ein Déjà-vu-Erlebnis, als in der sächsischen
Korruptionsaffäre, in die Spitzenleute aus Justiz, Politik,
Immobilienhandel und Rotlichtmilieu verstrickt sein sollen, ein erster
Name bekannt wurde: Sachsens Generalstaatsanwalt ermittelt gegen den
Präsidenten des Amtsgerichts Chemnitz, Norbert Röger. Bei diesem Namen
schrillen bei Hermanni alle Alarmsignale. Zu schmerzhaft hat er ihn in
Erinnerung, seit dieser noch leitender Oberstaatsanwalt in Leipzig war.
Selbst sein Haus hatte der dreifache Familienvater Hermanni verkaufen
müssen, weil er anders nicht die Prozesskosten aufgebracht hätte,
nachdem ihn das Landgericht Leipzig wegen Betrugs verurteilt hatte. Der
Richter, der das Urteil fällte, stieg während des Hauptverfahrens zum
Kammerpräsidenten auf.
Doch als Kopf jener "kriminellen Vereinigung", wie Hermanni heute das
Leipziger Justizgeflecht in den späten 1990er-Jahren nennt, sieht er
jenen Oberstaatsanwalt. Der gab sich offenherzig gegenüber den Medien,
versuchte die öffentliche Meinung gegen Hermanni zu beeinflussen,
versorgte die Zeitungen mit Gerichtsinterna und selbst der
Anklageschrift, die bis dato nicht einmal die Verteidigung kannte.
Hermanni testete das seinerzeit selbst. Er rief mit verstellter Stimme
bei jenem Oberstaatsanwalt an, meldete sich als ein "Reporter Becker von
,Spiegel TV"" und bekam prompt gesteckt, was man ihm als Angeklagten
vorenthielt.
Matthias von Hermanni, ein Kommunalmanager mit CDU-Parteibuch, der nach
der Einheit von Hannover kam, wurde in Leipzig bald ein erfolgreicher
Firmenchef. Er baute einen Kommunalbetrieb mit bis zu 8000 Mitarbeitern
auf. Das waren zumeist Langzeitarbeitslose oder Sozialhilfeempfänger,
die er mit moralischer Hingabe, politischer Hemdsärmeligkeit sowie einer
erstaunlichen Findigkeit beim Aufstöbern rechtlicher Grauzonen zumindest
monatsweise wieder ins Arbeitsleben zurückbrachte. Zumeist suchte er für
sie Jobs in der Landschaftspflege oder bei Kleinreparaturen an Schulen,
für die es Mittel aus Bundessozialtöpfen gab. Handwerksfirmen hätten
diese Gelder weder beanspruchen können noch für jene Sätze gearbeitet.
Dennoch entstand so um 1997 ein opulenter zweiter Arbeitsmarkt, der der
städtischen Unternehmerlobby und einflussreichen Rathauspolitikern
missfiel. Bald forderte man auch öffentlich, diesen Auffangbetrieb für
sozial Gestrauchelte zu zerschlagen. Doch solange hier das Schwergewicht
Hermanni saß, schien das aussichtslos. Also musste er weg.
Doch da sich legal nichts fand, fanden sich plötzlich ominöse Komplizen,
die behaupteten, der Betriebsleiter habe städtische Technik beim Bau
seines Privathauses zweckentfremdet und verschachert. Da gab es Zeugen,
die man bei Verhören mit Strafandrohung gefügig gemacht hatte, wie sie
später erzählten. Und da gab es jenen Oberstaatsanwalt Röger, der
Hermanni vier Wochen in U-Haft steckte - wegen Verdunklungsgefahr.
Später sollte das Oberlandesgericht Dresden feststellen, dass auch dies
"konstruiert" war.
Erst der Bundesgerichtshof zerpflückte das Urteil. Hermanni ist heute
rehabilitiert, zugleich aber noch verschuldet. So ist der Fall für ihn
auch noch nicht erledigt. Er stellte Strafanzeige gegen die
Staatsanwaltschaft, denn er ist sicher: "Weil mein Betrieb der
Wirtschaft und der Politik ein Dorn im Auge war, ließ diese sich
politisch instrumentalisieren." Er spricht von Rechtsbrüchen in der
Ermittlungsbehörde. So verschwanden entlastende Akten, während ihn
belastende Straftaten geradezu inszeniert worden seien.
Das Kardinalproblem sieht Hermanni jedoch in der sächsischen
Justizstruktur. Wie in keinem Bundesland wechsle hier das Personal
zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften. "Dadurch kennt jeder jeden.
Man hat so kein klares Rollenbild, ist vielmehr auf die eigene Karriere
bedacht", meint er. So habe etwa in seinem Prozess am Landgericht
Leipzig eine "Richterin auf Probe" das Urteil geschrieben, die damals
zugleich noch Mitarbeiterin der Anklagebehörde war.
Untersuchungen der Dresdener Landesverfassungsschützer ergaben
Erschreckendes: Demnach gab es direkte Kontakte zwischen dem
berüchtigten Ndrangheta-Clan aus Kalabrien und Mitarbeitern des
Leipziger Rathauses. Dem Vernehmen nach ging es hierbei seit zehn Jahren
um Drogenhandel, Geldwäsche sowie illegale Immobiliengeschäfte. Leipzig
ist neben Chemnitz und Plauen offenbar das Zentrum jenes nun öffentlich
gewordenen Korruptionssumpfs in Sachsen. Den hatte der Verfassungsschutz
zwar über Jahre beobachtet, die Ergebnisse aber für sich behalten. Erst
vor wenigen Tagen übergab er ein erstes 40-seitiges Dossier mit bisher
geheimen Informationen an die Generalstaatsanwaltschaft. Es beinhaltet
konkrete Hinweise auf kriminelle Netzwerke, in die hohe Politiker,
Justiz- und Polizeibeamte verstrickt sein sollen. Die Vorwürfe reichen
von Mord über Korruption und Amtsmissbrauch bis zu Kinderprostitution.
Dem Frankfurter Publizisten Jürgen Roth zufolge, der als Experte für
organisierte Kriminalität gilt, findet sich in jenem Dossier auch ein
Vermerk über regelmäßige Sexpartys von Leipziger Rathauspolitikern mit
Minderjährigen.