„Das ist hoch gefährlich“
Ex-bfb-Chef Matthias von Hermanni ist als Zeuge vor Gericht – und greift Staatsanwälte an.
Im Amtsgericht waren gestern schwerwiegende Vorwürfe gegen
sächsische Staatsanwälte und ein ehemaliges Mitglied der
sächsischen Staatsregierung zu hören. Denn es wurde ein
Strafverfahren verhandelt, in dessen Mittelpunkt der zerschlagene
Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) steht –
und Amtsrichterin Ingrid Kunth hatte den Ex-bfb-Chef Matthias von
Hermanni in den Zeugenstand gebeten. Er sollte aufklären helfen,
ob seine ehemalige Mitarbeiterin Kerstin W. (48) beim
Regierungspräsidium Fördermittel aus dem Europäischen
Sozialfonds beantragt hat, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht
vorlagen. Der bfb hat die 754 000 Mark, um die es damals ging,
allerdings schon vor Jahren zurückgezahlt. Doch
Staatsanwältin Silke Kühlborn ist der Auffassung, dass
Kerstin W. wusste, dass der bfb keinen Anspruch auf die Mittel hatte.
Von Hermanni erklärte im Zeugenstand, die Staatsanwaltschaft
„kriminalisiere“ Kerstin W. nur, weil die Ermittler bislang
bei der Aufklärung der Vorfälle um den bfb völlig
versagt haben. Diese wollten nur auf Kosten der ehemaligen
bfb-Mitarbeiterin einen Erfolg verbuchen, damit ihr Scheitern nicht zu
offensichtlich ist. In Wahrheit seien die Ermittler überhaupt
nicht an einer Aufklärung interessiert. Dies zeige auch eine
Anzeige von ehemaligen bfb-Mitarbeitern, die eine Umbuchung von zwei
Millionen Mark betreffe, die Hermannis Nachfolger um mehrere Jahre in
der Bilanz verschoben hätten. „Das ist Bilanzfälschung
– aber Frau Kühlborn ist bewusst diesen Dingen nicht
nachgegangen“, so der ehemalige bfb-Chef.
Von Hermanni sagte auch, das Scheitern des bfb sei einer politischen
Intrige geschuldet. Der ehemalige Sprecher des CDU-Justizausschusses
des sächsischen Landtages, Volker Schimpff, und der inzwischen
verstorbene sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU)
hätten im Dezember 1999 zusammengesessen und wenige Tage
später sei eine Prüfgruppe aus dem Ministerium im bfb
aufgeschlagen. Schommer habe nicht gepasst, dass der bfb angeblich der
Privatwirtschaft Aufträge wegnahm. Von Hermanni: „Beim
Verhalten der Leipziger Staatsanwaltschaft ist es unerheblich, ob dies
aus vorauseilendem Gehorsam, aufgrund politischer Anweisung oder
persönlicher Unfähigkeit geschehen ist.“ Der
politischen Einflussnahme sei auch die Tiefenprüfung geschuldet
gewesen, die jetzt Kerstin W. angelastet wird. Die Vorgänge seien
„völlig dokumentiert“ gewesen. „Diese Unterlagen
sind nachträglich in den Papierkorb gelangt“, so von
Hermanni. Wer diese Vorgänge untersuche, werde Erstaunliches
entdecken. „Das ist hoch gefährlich“, so der
Ex-bfb-Chef.
„Wir können das alles nicht ausdiskutieren“, befand
Amtsrichterin Kunth. „Dies alles entzieht sich meiner
Kenntnis.“ Sie habe nur den Freispruch des Bundesgerichtshofes
studiert, den Hermanni nach jahrelangem Kampf mit der
Staatsanwaltschaft Leipzig errungen hatte (die LVZ berichtete).
„Auch die Schöffen hören das hier zum ersten Mal.“
Staatsanwältin Kühlborn reagierte auf die Angriffe mit einer
Erklärung. Das Gericht dürfe nicht einem „völlig
falschen Eindruck“ erliegen, sagte sie. Bei der des Betruges
angeklagten Kerstin W. gehe es um „bestimmte
Abrechnungspositionen“, die zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt
gewesen seien.
Die Vernehmung von Zeugen, die kurz nach von Hermannis Ausscheiden aus
dem bfb die Tiefenprüfung in der Buchhaltung des bfb vorgenommen
hatten, ergab viele Ungereimtheiten. Auf Nachfragen wurde deutlich,
dass es sich bei der Kontrolle um keine gewöhnliche Stichprobe
handelte, sondern die Prüfer dazu Anweisungen von Vorgesetzten
bekamen. Auch von Kontakten mit dem Landeskriminalamt wurde berichtet.
Außerdem tauchte Schriftwechsel auf, mit dem die Prüfer
damals vom bfb auf die Akten hingewiesen wurden, die die beanstandeten
Dinge aufklären konnten. Doch diese Akten wurden nie angefordert
– trotzdem wurde dem bfb die falsche Verwendung von
Fördermitteln des Europäischen Sozialfonds attestiert. Die
Zeugenvernehmung wird am 3. Juli fortgesetzt – unter anderem mit
der Zeugenvernehmung des ehemaligen Übergangs-Betriebsleiters und
heutigen LVB-Hauptgeschäftsführers Wilhelm Georg Hanss. Ein
Urteil soll am 14. Juli verkündet werden.
Andreas Tappert