Stellungnahme der Verteidigung zum Befangenheitsantrag der StA



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Landgericht Leipzig
Strafkammer
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04009 Leipzig


00188/01 S / WE
Leipzig, 28.03.2002

In dem Strafverfahren

./. Matthias von Hermanni u.a.

- 11 KLs 900 Js 56086/97 -

nehme ich zum Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft Leipzig gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht Nickel, die Richterin Schumann, die Schöffin Anita Schmidt und den Schöffen Eckehard Thiele wie folgt Stellung:

Wegen der Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung eines Richters statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der oder die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Dabei kommt es zwar auf den Standpunkt des Ablehnenden an, nicht aber auf seinen (möglicherweise einseitigen) subjektiven Eindruck und auf seine unzutreffenden Vorstellungen vom Sachverhalt (BGH MDR 55, 270)” Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, Rdnr. 8 zu § 24 StPO).

Maßgebend sind vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen Angeklagten und die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann (BGH NJW 68, 2297)” Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, Rdnr. 8 zu § 24 StPO).

Gemessen an diesen, vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen entbehrt das Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 26.03.2002 jeglicher Grundlage.


1.

Die 11. Strafkammer beginnt ihre Begründung, die Haftbefehle gegen die Angeklagten Matthias von Hermanni und Jürgen Sobiak aufzuheben, mit folgendem Eingangssatz:

Aufgrund der bisher durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer zu der vorläufigen Überzeugung gelangt, dass bezüglich der Anklagepunkte 1. bis 8., auf welche auch die Haftbefehle gestützt sind, kein dringender Tatverdacht mehr besteht.”

Die Kammer stützt ihre Entscheidung also auf die bisher durchgeführte Beweisnahme (und nicht auf künftige Zeugenvernehmungen). Der Beschluss des Gerichts vom 26.3.2002 steht unter den beiden weiteren Vorbehalten, dass es sich um eine vorläufige Überzeugung des Gerichts handelt und dass kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Die Kammer äußert nicht, dass überhaupt kein Tatverdacht mehr vorhanden sei.


2.

Die Staatsanwaltschaft trägt vor, dass die abgelehnten Richter einem weiteren, angeblich erheblichen Vorbringen der Staatsanwaltschaft nicht mehr zugänglich gewesen wären. Tatsache ist stattdessen, dass das Gericht die Hauptverhandlung 30 min. unterbrochen und sich mit den Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt hat.


3.

Der Vorsitzende hat zunächst am 26.03.2002 die Hauptverhandlung um 9:00 Uhr eröffnet und wollte einen Beschluss verkünden. Die Verhandlungsleitung ist Sache des Vorsitzenden. Erst als Staatsanwalt Gast erklärte, dass er unaufschiebbare Anträge stellen wollte (was sich bei näherem Hinsehen zudem als falsch herausstellte), hat der Vorsitzende der Staatsanwaltschaft Gelegenheit gegeben, ihre Beweisanträge zu stellen. Die ist nicht zu beanstanden.


4.

Die Kammer hat sich danach 30 min. mit den Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft beschäftigt und rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Beweisanträge der Staatsanwaltschaft einer späteren Beweisaufnahme durchaus zugänglich sind und der Aufhebung der Haftbefehle nicht entgegenstehen können.

Da die Kammer nur eine vorläufige Überzeugung äußerte, die auf der bisher durchgeführten Beweisaufnahme fußte, steht es der Kammer frei, nach einer späteren Beweisaufnahme ihre vorläufige Überzeugung wieder zu ändern.

Die Haftbefehle waren allerdings schon deshalb aufzuheben, weil keine Haftgründe vorlagen. Zu den Haftgründen hat die Staatsanwaltschaft in ihren Beweisanträgen vom 25./26.03.2002 kein Wort ausgeführt. Nur Ausführungen zu den Haftgründen wären unaufschiebbar gewesen, denn der dringende Tatverdacht reicht allein nicht zur Aufrechterhaltung der Haftbefehle. Da es am erheblichen Sachvorbringen der Staatsanwaltschaft zu den Haftgründen fehlte, bedurfte es keiner Aufschiebung der Entscheidung über die Haftbefehle.

Die Erörterung des Tatverdachts durch die Staatsanwaltschaft ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Eben deshalb sind für den BGH die Vorstellungen, die sich ein geistig gesunder, bei voller Vernunft befindlicher Prozessbeteiligter bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen kann, maßgebend (Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, Rdnr. zu § 24).


5.

Dies gilt um so mehr, als auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Kammer die am 22.03.2002 durch die Staatsanwältin Fleiner an die beisitzende Richterin Frau Schumann übergebenen Beweismittel geprüft und weiteren Aufklärungsbedarf anerkannt hat. Allein dies unterstreicht, dass die Kammer sich mit den Beweismitteln der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt hat und bereit ist, weiteren Aufklärungsbedarf anzuerkennen. Dies ändert jedoch nichts an dem Ergebnis der bisher durchgeführten Beweisaufnahme, die – es sei nochmals darauf hingewiesen – unter dem dreifachen Vorbehalt steht

a) bisher durchgeführte Beweisaufnahme

b) vorläufige Überzeugung der Kammer

c) kein dringender Tatverdacht.

In der Gesamtschau lässt sich eine zementierte Meinung der abgelehnten Richter nicht feststellen. Die Kammer hat die Haftbefehle im Verlauf der Beweisaufnahme zunächst bestätigt und am 26.03.2002 aufgehoben. Allein diese Offenheit der Kammer zeigt, dass diese – im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft – zu einer differenzierten und unterschiedlichen Beurteilungen, insbesondere des vorläufigen Beweisergebnisses, fähig ist. Befangen ist und bleibt die Staatsanwaltschaft, die längst die gebotene Distanz verloren hat.


Schurig
Rechtsanwalt